Geht’s noch? Welche kollektive Schuld hat denn bitte die Gesellschaft in der Steueraffäre um Uli Hoeneß auf sich geladen? Das wissen Sie nicht? Na, dann mal aufgepasst. Denn wie so häufig ist nichts so wie es scheint, weil ihrem Gerechtigkeitsempfinden schlicht und ergreifend etwas vorgegaukelt wird. Es ist ein bisschen so wie in der Matrix-Trilogie, nur dass Agent Smith dieses Mal kein Schutzprogramm einer gigantischen Computersimulation ist, sondern ein Jurist.
Preisfrage: als focus online am 20. April 2013 über die Steueraffäre um Uli Hoeneß berichtete, wer hat sich in diesem Zusammenhang strafbar gemacht? Blöde Frage werden Sie denken: Uli Hoeneß, weil er Steuern hinterzogen hat. Na, so einfach ist es jetzt nicht.
Klar, Uli Hoeneß hat gegen Gesetze verstoßen, aber gleichzeitig hat sich mit Bekanntwerden der Steueraffäre irgendein Finanzbeamter strafbar gemacht, weil er darüber geredet hat und somit das Steuergeheimnis des Bürgers Uli H. verletzt hat. Und das ist eine Straftat. Wer das behauptet? Rudolf Mellinghoff in einem Artikel auf spiegel online. Und der muss es wissen. Immerhin ist er Jurist, war sogar mal Richter am Bundesverfassungsgericht und ist jetzt Präsident des Bundesfinanzhofs. So viel juristische Kompetenz müsste ihre Zweifel direkt in unjuristischen Schranken weisen.
Ja gut, werden Sie denken, aber…. nix aber! Denn hieraus erwächst die kollektive Schuld der Gesellschaft. Immerhin hat sie – die Gesellschaft, wir, Sie, ich – in weiteren Artikeln, Diskussionsrunden, Blogs, öffentlichen und privaten Diskussionen diese Straftat aufgegriffen und zu einer großangelegten Kampagne gegen das Opfer – Uli Hoeneß – ausgeweitet. All das, was seit einigen Wochen mit, um und über Uli Hoeneß passiert hat seinen Ursprung in einer Straftat, unter der er zu leiden hat. Und wir alle machen mit. Sind also kollektiv schuld.
Ja, aber war da nicht mal was mit Steuerhinterziehung seitens Uli Hoeneß, die jetzt verfolgt werden muss? Na ja, so einfach ist das jetzt nicht mehr, denn – wie Rudolf Mellinghoff weiter ausführt – ist nur das unverletzte Steuergeheimnis ”eine notwendige Bedingung dafür, dass der Staat vom Bürger die umfassende Mitwirkung und Offenbarung aller wirtschaftlichen und privaten Verhältnisse verlangen darf. [...] Das gilt auch für Strafverfahren im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung.”
Moment mal: heißt das etwa, dass nur, weil jemand die Öffentlichkeit frühzeitig informiert hat, jetzt alles auf der Kippe steht, und nichts weiter passiert? Dass gar niemand mehr von Uli Hoeneß verlangen darf, seine wirtschaftlichen Verhältnisse komplett zu offenbaren?
Merken Sie etwas? Irgendwie hinterlässt diese Argumentation, so juristisch logisch sie auch sein mag, einen faden Beigeschmack und das eigene Gerechtigkeitsgefühl bekommt tierische Bauchschmerzen. Ist die eine Straftat auf einmal getilgt, weil danach angeblich eine weitere Straftat geschah? Zum Glück nicht, sonst hätte es ja niemals irgendwelche Prozesse in Sachen Steuerhinterziehung geben dürfen, von denen die Öffentlichkeit wusste. Gemeint ist in diesem Zusammenhang eher der Zeitpunkt, als die Tatsache an sich.
Dennoch ärgert so ein Kommentar wie der von Rudolf Mellinghoff, da er dem unjuristischen Leser den Eindruck vermittelt, dass das eigene Gerechtigkeitsempfinden in der Sache Uli H. falsch sei, weil es einen juristischen Aspekt der Sachlage nicht berücksichtigt hat.
In diesem Fall, wenn einen spitzwindiges Paragraphentum in die Schranken weißen will, empfehle ich die Erkenntnisse großer Persönlichkeiten der Weltgeschichte: “Etwas ist nicht Recht, weil es Gesetz ist, sondern es muss Gesetz sein, weil es recht ist.” Danke Montesquieu.