Am Ende der Integrationsbereitschaft

Es hat nicht viel gefehlt und die Geschichte hätte Christian Wulff Recht gegeben. Nicht darin, dass er doch der fähigste Bundespräsident aller Zeiten gewesen ist. Davon muss die Geschichte ihn nicht erst überzeugen. Sondern in einer Behauptung, die er in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit aufstellte: Sie wissen schon, das mit Deutschland und dem Islam, dass beide zusammengehören. Mithat Gedik wäre der Schützenkönig-gewordene Beweis gewesen, das Wulff Recht hatte. Wenn, ja wenn seine Krönung nicht diese mediale Aufmerksamkeit erregt hätte, sondern völlig unbeachtet, weil selbstverständlich von Statten gegangen wäre. Leider hatte der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BHDS) etwas dagegen.

Mal ehrlich: Moslem und Schützenkönig. Mehr Integration geht nicht, oder? Da komme ich mir als Spätaussiedler, der zu Hause mit den Eltern ausschließlich Polnisch spricht, lieber Wurst vom Schlesier als aus dem Supermarkt isst und in der Gemeinde keineswegs irgendwie ehrenamtlich aktiv ist, vor wie ein Integrationsverweigerer. Dabei liefert die bisherige Biographie von Mithat Gedik auch ohne abgeschossene Königskette schon genügend Beweise dafür, dass Integration gelingen kann: katholische Religion als Abiturfach, mit einer Katholikin glücklich verheiratet, vier Kinder, kaufmännische Ausbildung, Niederlassungsleiter und aktiv bei der freiwilligen Feuerwehr. Und nun auch noch Schützenkönig. Integration in die Seele des deutschen Brauchtums! Selten konnte ein Moslem so deutsch werden!

Vermutlich ist dies auch den Herren vom BHDS aufgefallen. Und das macht natürlich Angst. Ein Moslem soll Schützenkönig werden? Integration total? Gleiche Traditionen für alle? Auch für die, die nicht ein Kreuz anbeten? Plötzlich steht man an der Speerspitze der Integrationsavantgarde, die nicht nur redet, sondern auch handelt, Dinge verändert. Und das, ohne das einer gefragt hat, ob man das auch will. Da muss natürlich die Notbremse gezogen werden.

Und immer, wenn in Deutschland jemand partout etwas nicht will, auch wenn es keine logischen Argumente gibt, die ihn in seiner Haltung unterstützen, sondern nur weil es ihm  innerlich widerstrebt, werden zwei Totschlagargumente aus dem traditionellen Hut gezaubert: die Satzung und Gott! Wobei der Eindruck entsteht, dass Letzterer die erste geschrieben hätte. Deshalb ist eine Satzung auch nicht einfach nur eine Sammlung von Vorschriften, die sich eine Zusammenkunft von Vereinsmitgliedern irgendwann einmal gegeben hat. Es ist papiergewordene Ewigkeit, die alles überdauern, aber um Gottes Willen nicht an die sich veränderte Realität angepasst werden darf. Und wenn da eben drin steht, dass einer nur Schützenkönig werden kann, wenn er Christ ist, dann ist das eben so. Wenn da gestanden hätte, dass nur der Schützenkönig werden darf, der gelbe Unterhosen trägt, dann wäre das eben auch so. Richtig. Unhinterfragt. Ewig gültig.

Und gleichsam kommt noch die Religion ins Spiel, die dazu benutzt wird, Unsinnigkeiten, die in einer niedergeschriebenen Zettelsammlung festgehalten sind, mit dem notwendigen moralischen Unterbau zu versehen. Wozu das führt, sieht man in einem Kommentar von Frank Patalong, in dem der Autor die Meinung vertritt, dass die Religion den Gläubigen über den Andersgläubigen stellt und Außenseiter ausgrenzt. Nein, das tut sie nicht! Sie wird oftmals nur als Pseudoargument dafür benutzt um das individuelle Machtstreben einzelner rückwärtsgewandter, machthungriger Kleingeister zu legitimieren. An sich hat sie aber nicht dieses Streben.

Letztlich zeigt diese Schützenkönig-Posse nur, dass Integration an ihre Grenzen stößt. Und zwar nicht, weil die, die hierhergekommen sind, sich verweigern, sondern weil diejenigen, in deren Gemeinwesen man sich integrieren will, eine letzte unüberwindbare Barriere aufstellen, um dies zu verhindern. Und genau dafür steht das Beispiel des Mithat Gedik: er hat alles “richtig” gemacht und wollte auch noch das letzte Stückchen Teilhabe, aber hier zog der BHDS eine Grenze (, auf die er zwar inzwischen nicht mehr besteht, die er aber nur ein wenig verschoben hat. Ehrliche Einsicht sieht anders aus).

Integration kann wunderbar gelingen. Maximal sind aber wohl 90% drin. Und diese 90% sind die neuen 100%. Der Rest bleibt eine wirre, rückwärts gewandte Parallelgesellschaft, in die sich die zurückziehen, die sich durch Integration der anderen irgendwie bedroht fühlen. Und deren Gedankengut hoffentlich irgendwann Vergangenheit sein wird.