Ende Juni sorgte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung für große Erleichterung unter deutschen Bildungsexperten und allen, die sich dafür halten. Ein Durchatmen ging durch ihre Reihen, als die Studie ihnen bescheinigte, dass ihr Wissen über den Zustand unseres Bildungssystems weiterhin up-to-date ist. In einer sich permanent wandelnden Arbeitswelt, in der man sein Wissen und seine Qualifikation an die sich sekündlich ändernden Anforderungen von Kunden, Märkten und der Stimmungslage des Erdgeistes anpassen muss, ist so eine Aussage eine Menge wert.
Um als Experte für ein Thema zu gelten, das gesellschaftlicher Natur ist, braucht es nicht viel. Man könnte es als “Kenntnis der Sachlage” beschreiben, also das Wissen um Vor- und Nachteile und wesentliche Problempunkte eines Themenfeldes. Kein Sorge: das Wissen um eine Sache schließt praktisch nie den Willen zur Veränderung mit ein. Damit streckt man die Halbwertszeit seines Wissens. Im Idealfall reicht es sogar bis zur Rente.
Das Wissen um die Problempunkte unseres Bildungssystems, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: der Bildungserfolg ist abhängig von der sozialen Herkunft. Dieser Satz steht auf einer Stufe mit Sätzen wie: “zu Beginn der Ferien steigen die Benzinpreise”. Es wird ein Zusammenhang postuliert, den so richtig keiner verstehen mag. Da dieser aber seit Jahrzehnten wieder und wieder beschworen wird, ist er inzwischen zu einer naturgesetzlichen Kraft mutiert, gegen die man ungefähr so viel ausrichten kann wie gegen schlechtes Wetter.
Welche tsunamiartige Zerstörung würde wohl das Ergebnis einer Studie entfalten, nach der der Bildungserfolg nur noch abhängig von der eigenen Leistung ist! Ich mag es mir kaum ausmalen. Tausende Experten, Wissenschaftler, Kommentatoren, Talkgäste und letztlich auch Politiker stünden vor dem Nichts! Sie wären ihres Wissens beraubt. Man hätte ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie müssten sich neue Betätigungsfelder suchen, was Parteigremien und Arbeitsagenturen schlicht überfordern würde. Es wäre das reinste Chaos.
Zum Glück hat die Studie der Bertelsmann-Stiftung das verhindert. Wobei, ganz so stimmt das nicht. Genau heißt es in der Studie: “Insgesamt geht es mit der Chancengerechtigkeit eher im Schneckentempo voran.” Veränderung ist also zu erkennen, aber zum Glück bedroht sie nicht den Status Quo. Na ja, in einem Land, in dem die Politik der kleinen Schritte die Geschwindigkeit vorgibt, übrigens nicht erst seit Angela Merkel, sondern schon bei Bismarck, scheint somit alles auf dem richtigen Weg. Da kann man den 6-jährigen von heute ruhigen Gewissens mit auf dem Weg geben, dass ihre Ur-Enkel es mal gerechter haben werden.
Für mich steht jedenfalls fest: ich habe keine Lust mehr, von Studien belästigt zu werden, die mir berichten, was ich bereits weiß! Ich würde gerne mal eine Studie lesen, die die Auswirkungen neuer Konzepte aus Ländern evaluiert, die das mit der Bildung offenbar besser hinkriegen als wir. Ich weiß: hier folgt sogleich der natürliche Bildungsexpertenreflex: das, was andere Länder machen, kann man nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Stimmt! Wenn das so einfach wäre bräuchte man keine Experten. Man könnte Affen dazu dressieren.
Aber lernen von Erfolgsmodellen. Abwägen. Pro und Contra erörtern. Brauchbare Aspekte adaptieren. Das ist es, was von Experten erwartet wird. Doch Moment – auch unsere Experten sind ja Produkte unseres Bildungssystems. Vermutlich können Sie es also im Vergleich zu anderen Ländern nicht so gut.