Es war um 1780 als Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge in Frankfurt am Main lebte und in Logen und Geheimbünden verkehrte. Lange bevor er sein berühmtes Werk, Über den Umgang mit Menschen, niederschrieb, arbeitete er an einer anderen, kaum bekannten prophetischen Schrift: die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert. Leider konnte er diese niemals veröffentlichen. Zufällig geriet das unbekannte Werk später in die Hände einiger Geheimbundbrüder aus Frankfurter Tagen, die es mit Knigges obigem Meisterwerk kombinierten, dabei jedoch die soziologische Komponente ignorierten und nur die oberflächlichen Aspekte beibehielten: geboren war der Geheimbund der Benimmtrainer-Illuminaten, die inzwischen als selbsterklärte Cerberusse der Arbeits- und Geschäftswelt “Null-Wissen” als geheimes Schmiermittel für den zielstrebigen Aufstieg verkaufen.
Leider handelt es sich bei dem Geheimbund der Benimmtrainer-Illuminaten um eine Vereinigung, die keineswegs im Verborgenen bleiben möchte, sondern sich all jenen aufdrängt, die den Einstieg in die Arbeits- und Geschäftswelt suchen. Unglücklicherweise werden auch Journalisten von ihren sierenischen Rufen betört und lassen sich dazu verleiten, deren Geschwätz in Artikel zu pressen, anstatt es zu ignorieren.
Die Taktik der Benimmtrainer-Illuminaten ist so perfide wie genial: die Mischung macht’s! Und die beste aller Mischungen besteht aus Angst und Verlockung. Die Angst in Fettnäpfchen zu treten, weil man geheime Codes nicht versteht, und sich dadurch eine glänzende Karriere verbaut. Die Verlockung es doch zu können, nur weil man einige simple Kniffe beherrscht und ein perfekt gebundener Krawattenknoten angeblich den Ausschlag geben kann.
Neuerdings treiben sich die Benimmtrainer-Illuminaten an Universitäten herum, der Brutstätte künftiger Fach- und Führungskräfte, deren Absolventen – so die Legende - innerhalb weniger Wochen im ersten Job bereits “Führungs- und Repräsentationsaufgaben übernehmen”. Denn dazu braucht es eben “nicht nur Kompetenz, sondern auch den Eindruck”, den man hinterlässt. Und die Fassade des perfekten ersten Eindrucks kann man sich innerhalb weniger Tage – manchmal sogar nur Stunden – antrainieren, den Benimmtrainer-Illuminaten sei Dank. Schön blöd, wer da auf die Ochsentour der Kompetenz setzt, für die man erst mal ein paar Jahre zurückstecken muss.
Genau hier finden die Benimmtrainer-Illuminaten ihre Lieblingsjünger: die Möchtegern-Aufsteiger und Bald-Emporkömmlinge, die eine lebenslange Scham mit sich herumtragen, da sie “solche Dinge zu Hause leider nicht gelernt haben”, im Gegensatz zu Anderen, denen dies mit der Muttermilch eingeflößt wurde. Zum Glück lässt sich diese natürliche Benachteiligung im Nachhinein abtrainieren – so das Mantra der Benimmtrainer-Illuminaten. Denn lernen kann man das, was sie propagieren nicht. Man soll es auch nicht. Lernen würde Verstand nutzendes Auseinandersetzen mit Inhalten voraussetzen. Stattdessen soll man nicht nachdenken. Man soll wirken.
Der größte Pfand der Benimmtrainer-Illuminaten ist, dass sie ein offensichtliches Wissen verkaufen, das jedem bereits bekannt ist, weil eben jeder halbwegs normal erzogene Mensch weiß, dass bei seichten Small-Talk nicht über die sexuelle Orientierung geredet wird, “toller Hintern” als Kompliment nicht taugt und die Reihenfolge der Bestecknutzung seit “Pretty Woman” jedem 10-jährigen, der den Film heimlich gesehen hat, bereits bekannt ist. Und all diese Aspekte ändern sich nicht. Niemals. Sie beruhen nämlichen auf dem, was allgemein als gute Umgangsformen unseres Kulturraums anerkannt ist.
Und trotzdem nutzen die Benimmtrainer-Illuminaten dies aus, indem sie den Mythos streuen, dass man sich nie sicher sein kann, ob sich nicht doch etwas geändert haben könnte. Wie froh ist man dann, wenn sie einem mit selbstgefälliger Gelassenheit in ihren Seminaren entgegen flöten, dass alles doch noch so ist, wie man es schon seit jeher gewusst hat: nicht der Personalchefin an den Hintern packen, nicht den CEO nach einem flotten Dreier fragen, nicht das Rumpsteak mit dem Weinglas ausstechen.
Viel zu lange schon breitet sich die Verschwörung der Benimmtrainer-Illuminaten ungestört aus, ohne dass ihr natürlicher Feind, der Orden des klaren Verstandes, diesen Verführern Einhalt gebietet. Denn vor langer Zeit wurde der Orden zerschlagen, aufgelöst und aus der Arbeits- und Geschäftswelt verbannt. Aber – so steht es geschrieben – es wird die Zeit kommen, in der ein Auserwählter auftreten wird, mit der Kraft, dem Unsinn der Benimmtrainer-Illuminaten zu wiederstehen. Er wird alle um sich scharren, die unter den Benimmtrainer-Illuminaten gelitten haben, eine Revolution starten und den fiesen Geheimbund ein für alle mal vertreiben.
Diesen Auserwählten wird man an seinem schiefen Krawattenknoten und den billigen Schuhen, die er noch nie geputzt hat, erkennen. Daher haltet alle die Augen auf! Schon morgen kann es soweit sein!