Warum nur die Schuldfrage weiterführt

Stellen wir uns einmal folgendes Szenario vor: Sie wachen nachts auf, weil sie glauben verdächtige Geräusche in Ihrer Wohnung zu hören. Sie vermuten Einbrecher hätten sich Zutritt verschafft. Trotz Angst greifen Sie nach einem Gegenstand, z.B. einem Tennisschläger, den Sie als Waffe benutzen können und schleichen aus dem Schlafzimmer. Im Flur sehen Sie einen vorbei huschenden Schatten. Und schlagen zu! Nachdem das Licht angeht, erkennen Sie bitterlich Ihren Fehler: es war kein Einbrecher, sondern jemand aus Ihrer Familie.

Würde es in diesem Fall jemanden wundern, wenn man Sie dafür anklagen würde? Etwas seltsamer wäre es da schon, wenn man Ihren Onkel anklagen und ihm die Schuld für den Vorfall geben würde, nur weil er ihnen den Tennisschläger geschenkt hat und ihnen eingeredet hat, man müsse sein Hab und Gut jederzeit verteidigen, sobald man es in Gefahr wähnt. Letzteres ist leider die Logik, nach der die Schuldfrage nach dem Abschuss des Malaysian Airline Fluges MH17 thematisiert wird.

Und die ist schnell geklärt. Russland und insbesondere Wladimir Putin sind Schuld, weil sie den prorussischen Rebellen in der Ost-Ukraine die entsprechenden Waffensysteme zum Abschuss von Militärflugzeugen geliefert haben. Mit dieser Argumentation wird die Schuldfrage jedoch von der eigentlichen Tat abgelöst und auf eine politisch-symbolische Ebene gehoben. Und dies ist zynisch! Vor allem gegenüber den Angehörigen der Opfer.

Denn was dann passiert hat nichts mehr mit der Aufklärung der Tat zu tun. Das Ereignis wird zum Spielball der Medien, wird in einseitigen Darstellungen neu interpretiert und von der Gegenseite jeweils als Propaganda dargestellt. Bald scheint es beinahe so, als ob es keine Rolle mehr spielt, wer der wirkliche Täter war, da die Schuldfrage in angrenzende Felder diffundiert und sich dann nur noch um Aspekte dreht wie die Verlegung der Fußball WM 2018, oder die Ausweisung der Tochter Wladimir Putins. Die Tat und die Frage der Schuld werden zu einer  medialen, kommunikativen Knetmasse, die immer wieder verformt wird, so dass jeder seine Wahrheit daraus erschaffen kann. Sei sie auch ganz bewusst gefälscht.

Wozu das alles letztlich führt, kann man an einem Kommentar von Jakob Augstein sehen, dessen Kommentare ich sonst immer sehr schätze: demnach sei die Schuldfrage am Abschuss des Malaysian Airline Fluges MH17 nicht zu klären, da eine multipolare Welt, eine multipolare Moral mit sich bringe.

Und das halte ich nicht nur für völlig falsch sondern auch gefährlich! Sollen wirklich Wahrheit und Gerechtigkeit vor der Tatsachenfeststellung der medial geschaffenen Multimoralität kapitulieren? Dann können wir die Gültigkeit von Strafgesetzbüchern direkt auf bestimmte Kreise beschränken: nämlich nationale Tragweite und Otto-Normalbürger!

Zudem geht es immer noch darum, dass sich die Diskussion um den falschen Schuldigen dreht: den politisch-symbolischen. Ob tatsächlich für alle Angehörigen Russland oder Wladimir Putin Schuld sind, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht sind aber auch einige nur daran interessiert, den tatsächlichen Täter zu finden und seiner Strafe zuzuführen: der, der das Raketensystem bedient hat und der, der den Befehl zum Feuern gegeben hat. Denn nur diese trifft eine direkte Schuld!