Alle gegen Amazon, niemand für neue Businessideen

Es ist nicht leicht in der aktuellen Kontroverse um Amazon eine differenzierte Sichtweise einzunehmen. Eine, die nicht mit Begriffen wie Bücherkrieg, Untergang des Kulturguts Buch oder Invasion durch einen fast schon dämonischen Gegner spricht, der seit Jahren an einem Masterplan arbeitet, die gesamte Buchbranche unter Kontrolle zu bringen. Ich versuche es trotzdem. Denn letztlich bringt die andere Sichtweise gar nichts. Sie zementiert nur den Status Quo: eine marktbeherrschende Position Amazons. Dass es so weit gekommen ist, liegt nicht nur an der “Stärke” von Amazon. Sondern auch an der “Schwäche” der althergebrachten Akteure des Buchmarkts, die erste erst richtig zur Geltung bringt. Folglich gilt es jetzt die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.

Die heißen natürlich: Widerstand. Wenn das mal so einfach wäre. Denn wie dieser Widerstand funktionieren kann, wie er organisiert werden soll, da sind sich die Akteure noch nicht einig. Vielleicht klappt es ja, wenn man Medien und Prominente für sich gewinnt, die Stimmung machen. Auf keinen Fall sollte es “old-school”-mäßig laufen: über Preisabsprachen in Hinterzimmern, um Amazons Marktmacht zu brechen. Das läuft nur darauf hinaus, dass man die Kartellbehörden im Nacken hat, eine deftige Strafe aufgebrummt bekommt und sich Amazon ob so dummer “Anfängerfehler” ins Fäustchen lacht.

Die Debatte um Amazon ist seltsam. Seltsam zum einen, weil sie an einem bestimmten Ort geführt wird: im Feuilletonteil bekannter, überregionaler Zeitungen. Hier wird analysiert, soziologisiert und was am merkwürdigsten ist: historisiert und futurisiert. Amazons Erfolg der Vergangenheit wird als logischer, gradliniger, checklistenartiger Weg ins Jetzt dargestellt. Die Zukunft, d.h. das zukünftige Verhalten der Akteure als naturwissenschaftliche-logische Folge der Entscheidungen im Jetzt. Alles schöne Denksportaufgaben. Sie taugen aber nicht, um daraus Lösungen zu generieren. Sie schüren nur das Gerede über die Problem-Ist-Situation.

Zum anderen ist die Debatte deswegen seltsam, weil die Akteure der Buchbranche einen Zustand beklagen, von dem sie bisher doch eigentlich profitiert haben. Oder? Immerhin ist Amazon größter Kunde der Verlage, bietet ihnen als Online-Buchhändler einen unendlich großen Vertriebskanal, so dass die Verlage hierdurch ordentliche Umsätze und Gewinne machen konnten. Und darüber anscheinend vergessen haben, wie “Business” funktioniert. Grundsätzlich. Und im Besonderen im 2.0 Zeitalter.

Es mag Gründe geben, logische wie unlogische, warum man sein Schicksal in die Hände eines Großkunden gibt. Auf Dauer fährt man damit aber nicht gut. Man begibt sich in eine Abhängigkeit, die einen in die Situation führt, in der man heute ist. Denn Amazon ist gar nicht der größte Kunde. Er ist der größte Konkurrent. Weil Amazon sich nicht auf die Rolle des Buchhändlers beschränkt hat, sondern immer mehr verlegerische Tätigkeiten an sich zieht, diese mit den Möglichkeiten digitaler Kommunikationsmedien verbindet und damit das Geschäftsmodell “auf den Kopf gestellt hat”. Um das zu erkennen genügt ein Blick in den Wikipediaeintrag von Amazon. Rubrik Geschichte.

Amazon greift um sich. Expandiert. Schluckt weitere Firmen und wächst und wächst und wächst. Falsch!!!!! Es integriert Dienstleistungen und Angebote, um daraus neue Dienstleistungen und Angebote zu entwickeln. Das nennt man Innovation. Und das in der Buchbranche. Amazon hat nämlich seit eh und je etwas mit Büchern gemacht.

Irgendwie erscheint mir der aktuelle Aufschrei in der Buchbranche wie der schiefe Singsang nach jahrelanger Vogel-Strauß-Politik. Hat man allen Ernstes geglaubt, dass Amazon die gigantische Verkaufsplattform ist, die alle an den neuen Möglichkeiten und Verkaufserfolgen des digitalen Zeitalters teilhaben lassen wird? Falls ja, würde ich mir überlegen die Mitarbeiter sämtlicher Business Development Abteilungen in den Verlagen kollektiv zu entlassen, weil sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.

Aber das bringt einen ja auch nicht weiter. Vielleicht würden die Entlassenen sogar einige Wochen später bei Amazon anheuern. Denn Amazon ist auch ein guter Arbeitgeber. Zumindest für hochqualifizierte Wissensarbeiter, Fachrichtung IT. Ich kenne sogar einige persönlich. Und hier schließt sich die nächste Merkwürdigkeit in der Kontroverse um Amazon an: das vermeintlich positive Image Amazons bei Autoren. Amazon der Freund und Helfer, der die Autoren aus der Knechtschaft der Verlage befreit, der die Autoren zu Verleger ihrer Selbst macht, bei dem man viel mehr oder sogar enorm viel mehr verdienen kann als bei traditionellen Verlagen.

Hat Amazon Recht? Leider ja. Dass die meisten Autoren mit den Bedingungen bei ihren Verlagen unzufrieden sind, konnte man erst kürzlich in einer Befragung, die Anfang 2013 vom VS sowie Autorenverbänden aus der Schweiz und Österreich durchgeführt wurde, nachlesen. Ist Amazon die Lösung für Autoren? Natürlich nicht! Denn Amazon ist in dieser Beziehung verlegerisch tätig. Die Autoren, die jetzt gerade auf den Self-Publishing-Zug aufspringen und damit gute und vielleicht sogar bessere Erfahrungen machen als mit traditionellen Verlagen, machen dies zu einer Zeit, in der die Bedingungen (z.B. prozentuale Beteiligung) noch vergleichsweise hoch sind. Glaubt man allen Ernstes, dass dies so bleiben wird? Zumal, wenn Amazon seine Macht und Position im Markt noch weiter ausbauen wird?

Als Gegenargument las ich kürzlich etwas unglaublich Blödes: hier wurde zur Beruhigung, dass Amazons zukünftiger Machtzuwachs nicht unbedingt zu schlechteren Bedingungen für die Autoren und einer Eindämmung des Buchangebots führen wird, der Vergleich mit der Supermarktkette WalMart gezogen, die in den USA in vielen Städten “ein Monopol der Lebensmittelversorgung besitze, aber die Preise konstant niedrig halte”. Hier verwechselt wohl jemand Kunden mit (freien) Mitarbeitern.

Was ich an diesem Aspekt der Diskussion nicht verstehe: warum gelingt es nicht Amazon-Nachteile (kein Service, keine Beratung beim Buchverkauf) aufzugreifen und diese zu eigenen verkaufsfördernden Gegenargumente auszuwalzen? Macht Amazon ja auch. Vielleicht weil nur darüber geredet und nichts gemacht wird. Und weil alles, was mit IT, E-Books, Internet, Web 2.0 zu tun hat, für die Verlage immer noch so unverständlich ist wie das Voynich-Manuskript.

Eine Lösung kann sicherlich so aussehen, wie es Sibylle Berg in ihrer Kolumne beschreibt. Wobei ich bezweifle, dass man einfach mit einigen IT-Cracks ins Silicon Valley fahren kann und einem dort der neue Geistesblitz für eine Geschäftsidee oder ein neues Produkt einfach so über den Weg läuft. Dennoch liegt hier die Antwort: in den neuen Medien. Produkte und Dienstleistungen, die online verfügbar gemacht werden. Einige amerikanischen Verlage habe gerade damit angefangen.

Natürlich bricht man damit nicht gleich die Vormachtstellung Amazons auf. Im Gegenteil: vielleicht ist es nur ein Strohfeuer, das sogleich wieder vom großen Konkurrenten ausgelöscht wird. Daher sollte man zuerst in sich gehen und vielleicht den simplen Rat so mancher (Zufriedenheits)Coaches befolgen und eine simple Liste erstellen: mit Vor- und Nachteilen des eigenen Geschäfts, mit den Wünschen der Leser, mit den Sorgen der Autoren und sich dann überlegen: welche Produkte und Dienstleistungen können wir dafür anbieten? Wo kann man Mehrwert schaffen? Wo können wir besser sein? Und dies IT-unterstützt, einfach bedienbar. Leicht zugänglich. Dazu braucht man natürlich kreative Leute, die auch noch über das nötige Know-How verfügen. Aber, die gibt es.

Kreativität, eingebettet in digitale Medien ist der Nährboden des Widerstandes. Amazon selbst hat es vorgemacht. Und das können die anderen Akteuere auch. Denn beides gehört nicht Amazon allein.