Seit ein paar Tagen dürfen wir uns wieder aufregen, nachdem bekannt wurde, dass der ehemalige Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel als Lobbyist zu Rheinmetall geht. Journalisten, politische Kontrahenten und sogar Parteifreunde (aber nur die, die nicht mehr im politischen Betrieb aktiv sind) stimmen jetzt das Empörungslied an, um der Bevölkerung zumindest symbolisch zu zeigen, dass sich “so etwas nicht gehört”. Deshalb müssen auch Regeln her, die alles besser, erträglicher und vor allem verständlicher machen. Karenzzeit heißt das Zauberwort, das in Wirklichkeit eine Ablenkungslösung ist, weil sie den Kern des Problems nicht trifft. Ginge es nämlich nur um eine Karenzzeit, hätte sich Dirk Niebel aktuell sogar formal absolut korrekt verhalten.
Die Karenzzeit, die uns einen Wechsel von Politikern in die Wirtschaft nicht mehr ganz so nach Kuhhandel riechend erscheinen lassen soll, beträgt zwölf Monate. Warum? Keine Ahnung. Irgendjemand wird sich diesen Zeitraum schon ausgedacht und dann festgestellt haben, dass dies ja auch lange genug ist. Sei’s drum.
Dirk Niebel war im Kabinett Merkel II bis zum 17.12.2013 Bundesentwicklungsminister. Frühestens ab dem 01.01.2015 soll er als Lobbyist bei Rheinmetall anfangen. Dazwischen liegen exakt 12 Monate und 14 Tage. Karenzzeit erfüllt. Ohne, dass es eine niedergeschriebene Regel gibt. Also, warum regen wir uns überhaupt auf? Vermutlich weil sich manche nicht durch formale Beruhigungspillen abspeisen lassen, sondern auf den Sinngehalt dessen achten, was da passiert.
Das ist zum einen eine moralische Frage: kann man es mit seinem Gewissen vereinbaren von einer Organisation, zu dessen Zielen es u.a. gehört dem “Ideal einer Welt ohne gewaltsame Konflikte” näher zu kommen, zu einem Unternehmen zu wechseln, das mit dem Fortschreiten gewaltsamer Konflikte Geld verdient? Zumindest sollte man über diese Frage nachdenken und die Antwort vor sich rechtfertigen können. Vielleicht hat auch Dirk Niebel das getan und möglicher Weise einige Sekunden mit sich gerungen, bevor er eine Entscheidung traf. Man weiß es nicht.
Zum anderen ist es eine inhaltliche Frage: weshalb sind Politiker nach ihrer Abgeordneten- bzw. Ministerkarriere derart “spezialisiert”, dass sie nur noch einen Job wahrnehmen können: Kontaktvermittler zwischen Wirtschaft und Politik. Gibt es da sonst gar nichts mehr?
Niemand würde sich aufregen, wenn ehemalige Abgeordnete oder Minister wieder als Rechtsanwalt, Lehrer, Personalchef, Controllingleiter oder von mir aus als Gastredner arbeiten würden. Dann könnten sie dies auch sofort nach ihrem Ausscheiden machen und man bräuchte nicht Karenzzeiten erfinden, die über den Verdacht, man habe schon während der Zeit als Politiker für die zukünftigen Interessen gearbeitet, Gras wachsen lassen sollen. Das schaffen sie sowieso nicht. Auch nicht die ominöse zwölfmonatige Karenzzeit, denn die Anbahnung eines zukünftigen Engagements als Lobbyist kommt ja nicht von jetzt auf gleich. Auch nicht im Fall Niebel. Wir haben Anfang Juli und über die Personalie ist schon längst entschieden worden. Wann gab es also die erste Anfrage dazu?
Brauchen wir also eine Art “Wettbewerbsverbot” wie man es aus Arbeitsverträgen kennt? Das Verbot von der Gemeinwohlseite zur Interessenseite zu wechseln? Wieso nicht? Es wäre eine klare Einschränkung und ein Bekenntnis. Dies wäre nicht zwingend für alle Politikerebenen notwendig. So viele Lobbyistenjobs gibt es nun auch wieder nicht und nicht jeder ehemalige Hinterbänkler ist für Unternehmen interessant. Zumindest für die Ministerriege sollte es gelten.
Das wäre ein ernsthafter Schritt, der im Sinne des Gemeinwohls und gegen einzelne Interessen wäre. Dann könnten wir es uns auch ersparen zu glauben, formalisierte Zeitspannen hätten irgendetwas mit Gerechtigkeit und Fairness zu tun.