Prism, Tempora, die doppelte Brüskierung und wo bleibt eigentlich unser “Chuck Norris”?

Nachdem Edward Snowden der Welt offenbart hat, dass bei der weltweiten privaten und politischen Telefon- und Internetkommunikation stets der amerikanische NSA und der britische GCHQ ein Wörtchen mitzureden haben, steht die westliche Welt ziemlich blöd dar. Nicht weil dadurch Grundwerte einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft heimlich und hinterrücks abgeschafft wurden. Ich bitte Sie! Das steht längst nicht mehr zur Debatte, seitdem wir im Zeitalter nach den Anschlägen leben. Da braucht man den Gegensatz von Freiheit vs. Sicherheit nicht mehr auszudiskutieren, sondern kann einfach mal so entscheiden was schwerer wiegt. Dies obliegt der Deutungshochheit desjenigen, auf dessen Visitenkarte gerade ein politischer Titel steht.

Nein, das Blöde an der Aufdeckung der Prism und Tempora Programme ist, dass die westliche Welt damit die Chinesen brüskiert hat. Und jeder weiß ja, was das heißt: ein Mal brüskierte Chinesen = 1.500 Arbeitsplätze weniger in den G8-Staaten. Wieso jetzt die Chinesen? Ist doch klar: bisher galt China als das Non-plus-Ultra in Sachen Internetüberwachung und -zensur. Stichworte: Projekt Goldener Schild und Great Firewall. Und jetzt stellt sich doch tatsächlich heraus, dass Amerikaner und Briten besser sind! Was für eine verkehrte Welt.

Insgeheim könnte man vermuten, dass es sich dabei nur um eine billige Retourkutsche der Amerikaner und Briten handelt, weil sich die westlichen Länder auf den Schlips getreten fühlen, da sie feststellen mussten, dass die ehemals kommunistischen Unrechtsregime das mit dem Kapitalismus tatsächlich besser hinkriegen als die Vorzeigeapostel dieser Erfindung. Deswegen mussten diese sich ein Betätigungsfeld suchen, von dem sie bisher annahmen, es sei das Steckenpferd dieser Unrechtsregime gewesen, um dann genau darin besser zu werden.

Aber egal, was der Hintergrund ist. Fakt ist, dass wir die erste Brüskierung haben. Und das auch noch vor den Augen der Weltöffentlichkeit, was in China Gesichtsverlust und somit weitere 3.000 Arbeitsplätze weniger in den G8-Staaten zur Folge hat.

Die zweite Brüskierung trifft George Orwell. Zum Glück ist der Mann schon tot, sonst würde er sich angesichts der Rhetorik, die mit ihm und seinem Werk getrieben wird, die Kugel geben. Denn spätestens seit der Aufdeckung von Prism und Tempora wüsste Orwell: kein Mensch hat jemals seinen Roman 1984 gelesen. Denn wenn ihn jemand gelesen hätte, käme niemand auf die Idee Orwell, 1984 oder Big Brother mit dem in Zusammenhang zu bringen was die Aufdeckung von Prism und Tempora bedeutet.

In Orwells Dystopie ist den Menschen vollkommen klar, dass sie überwachst werden. Die wissen das! Weil in jeder Wohnung, am Arbeitsplatz oder auf öffentlichen Plätzen solche Teleschirme montiert sind. Da wird nichts heimlich aus dem Hörer oder dem Datenkabel gesaugt. Außerdem spielt der Roman in einer Diktatur. Diese Überwachungs- und Manipulationsmethoden werden einem Unrechtsregime zugeschrieben, nicht einer Demokratie. Was bitte hat die aufgedeckte Realität mit dem Roman zu tun? Vermutlich nur den klischeehaften Satz, dass jene schlimmer ist als die Fiktion.

Und was kommt jetzt? Na ja, da wir in einer (überwachten) Demokratie leben, erst einmal das große Gerede, die Analyse, die Gegenanalyse und die Meta-Analyse. Inzwischen sind wir ja medientechnisch bei der Frage angekommen wer, wann, wie viel, schon, erst, noch, noch nicht, überhaupt nicht, nie was wusste, wessen Empörung echt, nicht überzeugend, kaum glaubhaft oder heuchlerisch ist und wie komfortabel eigentlich ein Hotelzimmer im Transitbereich des Flughafens Scheremetjewo ist. Der eigentliche Skandal, das Unrecht, die Verletzung grundlegender Rechte sind da in den Hintergrund geraten.

Na ja, vielleicht ist das eben so in Demokratien. Anders als in Ländern, in denen sich die Bevölkerung gegen Diktaturen erhebt und lauthals auf die Straße geht. Siehe Ägypten. Und da gerade niemand Zeit, Lust oder genügend Wut im Bauch hat seinen Ärger über diese Missachtung grundlegender Rechte zu zeigen, bräuchte es einen, der die Sache einfach anpackt und ändert. Chuck Norris hat wohl gerade keine Zeit. Bei Angela Merkel wäre ich skeptisch. Es geht ja ums Internet und das ist ja noch Neuland. Aber keine Sorge, Peer Steinbrück wird es auch nicht machen müssen, dafür sorgen schon die Wähler. Aber vielleicht hat ja irgendwann Jorge Mario Bergoglio Zeit.