Das Unwort des Jahrzehnts

Jedes Jahr kürt die “Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ Begriffe, deren Nutzung in der öffentlichen Kommunikation kein kunstvoller Sprachgriff, sondern schlicht ein plumper Verstoß gegen die Prinzipien von Menschenwürde und Demokratie ist, einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminiert oder in euphemistischer und irreführender Form das Gegenteil von dem meint, was es ausdrückt. Jedes Jahr ein neuer Aufreger. Unbeachtet davon macht seit knapp acht Jahren, in denen ich nun in der Berufswelt bin, ein kleines Wörtchen “unwörtliche” Karriere, dessen Erfolg mit dem “Unwort des Jahres” noch nicht einmal ansatzweise gewürdigt wäre. Daher ist es für mich das Unwort des Jahrzehnts.

Noch vor einigen Jahren tauchte dieses Wörtchen ab und an als Kurzantwort auf Fragen auf, in denen etwas erbeten wurde, wirkte für mich aber schon damals irritierend, weil schlicht unpassend. Inzwischen ist in so manchen Verwaltungen großer Konzerne der Dienstleistungsgedanke weiter durchmissioniert worden, so dass das kleine Wörtchen eine steile Karriere gemacht hat. Je größer die Beschwörung einer Dienstleistungsbereitschaft, desto öfter hört man es. Daran gewöhnt habe ich mich aber immer noch nicht, eher wird es mir zunehmend suspekter.

Mit skeptischen Vorahnungen beobachte ich die Leute beim Aussprechen dieses kurzen Wortes. Mich interessieren ihre Regungen, die Mimik, die dabei entsteht und die mir zeigt,  weshalb ich dieses Wort nicht mag. Meistens wird es von einem spontanen Lächeln begleitet, das auf das Gesicht desjenigen huscht, der das Wort gerade ausgesprochen hat. Manchmal ist es auch nur ein zu betonter Augenaufschlag, in dem ein Glanz erscheint. Es soll Freundlichkeit, Bereitschaft, aber in erster Linie Eifer signalisieren, obwohl dem Angesprochenen gerade zusätzliche Arbeit aufgedrückt wurde.

In solchen Momenten erinnere ich mich an andere Situationen, in denen mir dieses Wort begegnet ist und es nicht so fehl am Platz wirkte wie in der Berufswelt. In familiären, privaten Augenblicken, meistens wenn Kinder dabei sind und man sie fragt, womit sie sich die Zeit vertreiben. Hier passt dieses Wort hinein, weil es so unvorbelastet und unbeschwert wirkt und einfach nur den Gefühlszustand ausdrückt, der in dem Moment herrscht.

Schon reist mich wieder ein kurzer, schriller Ton eines weitverbreiteten Emailprogramms aus meinem Tagtraum und verkündet mir, dass ich Post erhalten habe. Eine Antwort auf meine Anfrage an eine andere Abteilung, ob man mir einige Auswertungen zukommen lassen könnte. In der Antwort, wieder dieses Wort. Als Beginn eines Satzes, der bei mir den Eindruck hinterlässt, ich hätte den Absender aus einer tödlichen Langweile erlöst.

Jetzt würden Sie erfahren wollen, von welchem Wort ich hier die ganze Zeit schreibe. Die Spannung wurde über mehrere Zeilen auf ihren Höhepunkt getrieben und ich bin Ihnen eine Antwort schuldig geblieben, die ich natürlich nicht für mich behalten will, sonst wäre dieser Artikel ja vollkommener Blödsinn. Hier kommt es nun, mein persönliches Unwort des Jahrzehnts; ich löse das Rätsel und mache es

gerne.