Letzte Woche verkündete die Staatsanwaltschaft Duisburg nach mehr als dreijähriger Ermittlungsarbeit im Fall der Love-Parade Katastrophe, nun Anklage gegen sechs städtische sowie vier Mitarbeiter des Veranstalters zu erheben. Gegen den ehemaligen Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland und den Geschäftsführer der Veranstalterfirma Lopavent Rainer Schaller, die viele gerne auf der Anklagebank gesehen hätten, wird hingegen keine Anklage erhoben. Das ist vielleicht moralisch gesehen schlimm. Strafrechtlich jedoch logisch und richtig. Ermöglicht wird dies jedoch nur durch einen bitteren Fehler im System.
Dieser Fehler liegt nicht im Justizsystem. Das funktioniert so wie es funktionieren soll, indem es nur nach strafrechtlicher Schuld sucht. Deshalb ist es vollkommen richtig die Personen anzuklagen, die auf Veranstalter- und städtischer Seite mit der Planung und Durchführung betraut waren und sich durch Unterschriften unter Genehmigungen verantwortlich gezeichnet haben.
In einem WDR2 Radiobeitrag aus der vergangenen Woche greift der Journalist Paul Elmar Jöris ebenfalls diesen Aspekt auf und betont, dass die Justiz Arroganz und Überheblichkeit nicht bestrafen kann, da diese keine strafrechtlichen Tatbestände sind. Dabei geht er noch einen Schritt weiter und führt aus, wie die nun auf der Anklagebank sitzenden Führungskräfte des Mittelmanagements sich hätten verhalten sollen, um später einer Anklage zu entgehen: ihren Vorgesetzten widersprechen und die Unterschrift unter die Genehmigungen, die sie jetzt belasten, verweigern. Also, Widerstand innerhalb der Hierarchie leisten.
Auch das hört sich irgendwie logisch und richtig an, kann aber nicht funktionieren, aufgrund des Fehlers im System hierarchischer Gliederung. Dieses ist ja nicht nur ein abstraktes System der Über- und Unterordnung, sondern lässt stets Macht und Zwang in das Beziehungsgeflecht einfließen. Und mit diesen beiden Begriffen ist immer ein bestimmtes Verhalten verbunden, das in der Hierarchie eingefordert wird: Gehorsam – damit Hierarchie und später auch der eigene Aufstieg gelingen können. Ein Aushebeln der hierarchischen Gliederung ist nicht vorgesehen. Niemals. Und genau das ist der Fehler. Denn Hierarchie muss Grenzen haben.
Spätestens da, wo das Ausführen einer Anordnung gegen ethische oder moralische Grundsätze verstößt bzw. sogar strafrechtliche Konsequenzen hat, muss die Möglichkeit existieren, dass der Untergeordnete das Recht hat – nicht unbedingt die Pflicht, da es ja immer noch seine Entscheidung ist, es trotzdem zu tun – zu verweigern, ohne dafür mit Konsequenzen belangt zu werden. Durch diese Verweigerung müsste dann die Verantwortung für die Handlung auf die nächst höhere Ebene übergehen, die sich so nicht mehr nur auf ihre politisch-moralische Verantwortung zurückziehen könnte.
Doch dieser Seitenausgang aus der Zwanghaftigkeit ist der hierarchischen Gliederung unbekannt, sie kennt nur den Gehorsam. Verweigerung ist gleichbedeutend mit Bestrafung, da es Verweigerung nicht geben kann. Letztlich wird dadurch nur offenbar, dass dieses System eine bittere offene Flanke hat: es schert sich nicht um die negativen Konsequenzen einer falschen hierarchischen Anordnung und geht somit in ihrer Logik an der Realität und den Menschen vorbei.
Achsel zuckend zurücklassen sollte uns diese Tatsache jedoch nicht, eher ermutigen es zu verändern, denn es ist nur ein soziales Konstrukt, kein Naturgesetz!