Die unerträgliche Möglichkeit des Unmöglichen II

Wer ist schon an einem Sonntagmorgen vor acht Uhr im Auto unterwegs und hört Radio, wenn er den Abend davor bis spät in die Nacht aus war? Bestimmt die allerwenigsten. Ich gehöre zu diesem Menschenschlag. Sich zu so früher Stunde hinter das Lenkrad zu setzen birgt jedoch Gefahren. Nicht wegen des Restalkohols im Blut und unerwarteter Morgenkontrollen der Polizei. Sondern wegen bizarrer Radiobeiträge, die von literarischen Wunderleistungen erzählen, die man fälschlicher Weise für Spätprodukte des vorabendlichen Gelages hält. Und dadurch seine literarischen Chancen auf einen Weltbestseller sausen lässt.

Letzten Sonntag lief so ein Beitrag auf einslive als ich gerade auf der A3 Richtung Köln fuhr. Darin wurde der neue Roman von Romain Puértolas, “Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Ikea-Schrank feststeckte”, vorgestellt. Der Roman, der in Frankreich ein großer Erfolg ist, und jetzt auch in anderen Ländern seinen Siegeszug antritt, sei nicht Puértolas Erstlingswerk. Na klar, immerhin ist er ja schon Mitte/Ende dreißig. Zuvor habe er schon sieben andere Romane geschrieben, die von den Verlagen ungefähr mit so viel Interesse bedacht wurden wie verschüttetes Wasser. Ha, welcher Nachwuchsautor kennt dies nicht? Puértolas habe aber nicht aufgegeben, sondern weitergearbeitet und sei dann irgendwann auf die Story über den Fakir gestoßen, die er dann – neben seinem Brotberuf – einfach runter geschrieben habe. Moment, wie jetzt? Nebenher ist klar, aber einfach runter geschrieben? Dies sei sogar wörtlich gemeint, da Romain Puértolas die Geschichte innerhalb von zwei Wochen in sein iPad reingetippt habe. Was? Innerhalb von zwei Wochen? Wie kann das denn sein? Da muss ich jetzt was falsch verstanden haben. Und das ganze fand natürlich nicht zu Hause im stillen Kämmerlein statt, sondern während der täglichen Straßenbahnfahrt ins Büro und wieder zurück. Wie bitte?? Das kann doch jetzt nicht sein, da muss ich was total falsch verstanden haben. Vielleicht hätte ich gestern Abend doch nicht so viel trinken …

… erst jetzt bemerke ich wütendes Gehupe und aggressives Aufblitzen des Fernlichts vom dunklen BMW hinter mir, der wohl seit geraumer Zeit versucht, an mir vorbeizukommen. Wozu die Mischung aus nicht abgebautem Alkohol und frühmorgendlichen Radiobeiträgen doch führen können.

Doch mitnichten hatte dieses Erlebnis etwas mit Spätphantastereien einer durchzechten Nacht zu tun. Dies wurde mir einige Tage später klar, als ich diesen Artikel entdeckte, indem erklärt wurde, wie Romain Puértolas einen Bestseller nach dem Baukastenprinzip geschrieben hat. Die sechs simplen Bestandteile soll sich dann bitte jeder selbst zu Gemüte führen.

Aber was für eine ignorante Haltung meinerseits! Beinahe hätte ich verkannt, wie leicht es doch ist, einen Bestseller zu schreiben und zwar mit Ankündigung! Wie dumm von mir und tausenden anderen, die sich hinsetzen und einfach so drauflos schreiben, ohne sich vorher Gedanken gemacht zu haben, ob der nächste Roman nicht doch lieber ein Bestseller werden soll, anstatt nur irgendein weiteres Buch. Daher hier schon mal ein kleiner Vorgeschmack (man kann ja mit dem Marketing nicht früh genug anfangen) auf meinen nächsten Roman, der Anfang August erscheinen wird:

“Die völlig überzogene Lebenshaltung des buckligen Herr Zhu, der in Reykjavik Grünkohl anbauen wollte”. Als Protagonisten: der bucklige Herr Zhu, der Reykjavik über alles liegt, weil er einmal eine Postkarte von dort bekommen hat, die gar nicht für ihn bestimmt war. Herr Zhus sprechender Grünkohl, der den Sinn des Lebens kennt und eine eigene Homepage hat. Katinka Kerzhakova, eine ukrainisch-georgische Agentin im Diensten des bolivianischen Geheimdienstes. Und ein Kater namens Fisch. All diese Figuren treffen sich zufällig an einem Sonntagnachmittag in einer McDonalds Filiale in Shanghai und beschließen innerhalb von 72 Stunden die Probleme eines jeden aus der Grupppe zu lösen: denn Unbekannte sind die besseren Familienmitglieder.

In diesem Sinne gute Unterhaltung!