Alle reden über Hoeneß. Weil er es schon wieder getan hat. Schon wieder?! Wie jetzt? Hat er etwa schon mal Steuern hinterzogen? Nein, aber die Allgemeinheit enttäuscht. Ok, ’76 war schlimmer. Immerhin sind wir damals nicht Europameister geworden. Jetzt sind dem Fiskus ja nur ein paar Millionen durch die Lappen gegangen. Geld, das an anderen Stellen fehlt. Ich bitte Sie, das ist doch wirklich nichts Neues!
War das zynisch? Keinesfalls. Zynisch ist das Reiz-Reaktions-Schema, das nach Bekanntwerden des Falls gestartet ist, und das um den eigentlichen Kern der Sache ein Ablenkungsfeuerwerk abbrennt, unter dessen Rauchentwicklung Uli Hoeneß unbeschadet aus der Sache kommen wird. Kommen wird?! Wie jetzt?! Kann da etwa einer hellsehen? Genau so ist es! Oder glaubt tatsächlich jemand, dass Uli Hoeneß wie ein normaler Steuerhinterzieher angeklagt, vor Gericht gestellt und dann verurteilt wird. Klar, und Dortmund verteidigt in dieser Saison den Meistertitel.
Versuchen wir uns daran zu erinnern worum es geht: Uli Hoeneß hat Steuern auf Kapitalerträge nicht gezahlt. Dann, als er sah, dass die Hintertür über das deutsch-schweizerisches DBA (= diskrete Betrügeramnestie) vor seinen Augen zufiel und die Ermittler schon bei ihm auf der Matte standen, hat er sich selbst angezeigt. Damit hätten wir: a) ein Vergehen, b) ein Geständnis. Fehlt nur noch c) das Urteil.
Na so einfach geht’s jetzt nicht. So würde es laufen, wenn Otto-Normalhinterzieher Steuern hinterzogen hätte. An dieser Stelle setzt nämlich das Ablenkungsmanöver ein, mit dem Ziel von a) über b) direkt zu d) der gütlichen Einigung mit Nachzahlung, aber sonst keinerlei Konsequenzen, zu kommen.
Den Anfang machte Horst Seehofer, indem er einfach mal betonte, dass Uli Hoeneß wie jeder andere normale Bürger behandelt werde. Aha, interessant! Ich nehme an, er sagte dies aus Besorgnis, dass nicht einer auf die Idee kommt, angesichts aktueller Entwicklungen an anderen Orten, Hoeneß vor Prozessbeginn die Bürgerrechte entziehen zu wollen. Nächster Bestandteil des Ablenkungsmanövers: O-Töne ganz normaler, aber befangener (weil Bayern Fans) Bürger, die jene Sache mit einem “na, und?”, “jeder macht mal Fehler” oder noch besser “egal, Hauptsache wir haben Barcelona vom Platz gefegt” kommentieren. So leicht möchte Man(n) mal einen Fehler verziehen bekommen. Weiterer wichtiger Teil des Ablenkungsmanövers: mediale Überflutung in Form von Sendezeit und Artikeln, die anklagend und empörend oder beschwichtigend und herunterspielend sind. Damit die Stimmungslage immer im seichten Nirgendwo bleibt. So, jetzt wird’s ganz wichtig! Entscheidender Teil des Ablenkungsmanövers: selbstbewusster Gegenschlag des Beschuldigten gegen die hetzerische Presse unter Androhung juristischer Mittel. Im Eishockey fliegender Wechsel genannt. Nun kommen wir in ruhigere Fahrwasser des Ablenkungsmanövers: die politische Diskussion. Auftritt der Parteifunktionäre mit gegenseitigen Schuld- und Unfähigkeitszuweisungen. Also vorgezogener Wahlkampf. Und nicht zu vergessen die soziologische Diskussion. Analyse der zugrunde liegenden Denk-, Handels- und Gesellschaftsstrukturen, die jenes Verhalten erklären oder zumindest verständlicher machen sollen, und im altbekannten Bild der grantlerischen Bayernelite enden, für die Doppelmoral die höchste Tugend ist. In Gedenken an den großen bajuwarischen Doppelmoralphilosophen FJS. Biegen wir auf die Zielgeraden ein: das Bekanntwerden einzelner juristischer Details, durch die man neue juristische Begriffe und die Tatsache lernt, dass Haftbefehl nicht gleich Haftbefehl ist und in dieser sowie jener Sonderkonstellation mal zu ganz anderen als den gedachten Konsequenzen führt. So ähnlich wie gute Ratschläge von Beratern. Jetzt fehlt nur noch: der Formfehler, den die Verteidiger finden oder die Befangenheit, weil einer der Ermittler oder dessen Hund BVB Fan ist. Na, weiß noch einer, worum es ging? Einen, der sich selbst gestellt hat, seiner gerechten Strafe zuzuführen. Aber das nur so nebenbei gesagt.
Und was wird jetzt daraus? Na ja, was nun mal aus einer Sache wird, die einige Zeit im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit steht, viele Beteiligte in einem Peinlichkeitsstrudel runterzieht und zu der jeder seinen Kommentar, Interpretation, Auslegung oder Spitzfindigkeit dazugibt: die Hauptbeteiligten sind genervt und setzen sich irgendwann, irgendwo, abseits der Öffentlichkeit noch mal zusammen. Und einigen sich, weil niemand mehr Lust auf das Generve hat: gütlich. So im Sinne von: Nachzahlung plus Bewährung. Ohne Rücktritt von irgendeinem Amt.
Ist das denn schlimm? Na ja, eigentlich nicht. Immerhin bekommt der Staat ja sein Geld. Aber allein darum geht es nicht: es bleibt die Uneinsichtigkeit, die Reuelosigkeit, das Beharren. Vielleicht sogar ein wenig Ärger auf die Allgemeinheit, die Medien und die Politik. Und die Bestätigung, dass man mit seinem Handeln zwar ein blaues Auge davon getragen hat, aber durchgekommen ist. Und so bleibt man die tolle Wurst.