Hoffen auf Bukowski

Welche Hoffnung kann uns Charles Bukowski geben? Vielleicht die, dass eine Leber doch – wie Eckart von Hirschhausen behauptet – an ihren Aufgaben wächst? Wobei es heißt, dass Bukowski im Alter nicht mehr so viel getrunken habe. Dann vielleicht, dass die Arbeit in einer staatlichen Behörde, trotz ihrer zermürbenden Routine, doch eine Quelle literarischer Virtuosität sein kann? So viele Postangestellte, die später Literaten geworden sind, kenne ich nun auch wieder nicht.

Nein, die Hoffnung, die Bukowski uns geben kann, ist unscheinbarer. Man muss schon nach ihr suchen. Und vor allem: man muss einen bestimmten Punkt in seinem Leben erreicht haben, der einen über die großen Zusammenhänge in jener Ereigniskette nachdenken lässt, die gemeinhin als das Leben bezeichnet wird, um für diese Hoffnung empfänglich zu sein.

Bis zu diesem bestimmten Punkt verlief Bukowski Leben zusammengefasst so: aufgewachsen in ärmlichen und schwierigen Familienverhältnissen. Fast eine Jugend gehabt, wenn da nicht die Akne gewesen wäre. Hinaus ins pralle Leben, dass jedoch schlecht bezahlte Jobs, permanente Unsicherheit und sogar einen Aufenthalt in der Psychiatrie bereit hielt. Zuletzt der Versuch stabilere Verhältnisse zu schaffen. Ergebnis: beinah tödlich verlaufene Magenblutung. Dann kam das ernsthafte Schreiben. Das war so um 1954/55. Da war Bukowski 35.

Keine Sorge, ich leide jetzt nicht unter unerklärlichen Schmerzen in der Magengegend, auch wenn Männer dazu neigen harmlose Wehwehchen als beinah tödlich verlaufene Krankheit darzustellen. Aber dieses Jahr werde ich 35. Für mich ist das die magische Zahl, jener Aspekt des literarischen  Aberglaubens, an den ich mich derzeit klammere.

Irgendwo habe ich zwei Aussagen zu diesem Altersmythos gelesen. Die erste bezog sich auf Absolventen künstlerischer Studiengänge, die irgendwie die Zeit zwischen 25 und 35 überbrücken müssen, bevor sie mit ihrem Schaffen Beachtung finden. Die zweite Aussage stammt von Bukowski selbst, der gesagt haben soll, dass er bis zu seinem 35. Lebensjahr so viel Scheiße gesehen habe, dass es an der Zeit war, darüber zu schreiben.

Ok, Skeptiker überzeugt das noch lange nicht, denn trotzdem ist die Zahl 35 absolut willkürlich gegriffen. Heißt ja nicht, dass jemand mit 36 nicht mehr durchstarten kann. Nein, natürlich nicht, aber hier geht es um eben diesen Altersmythos, mit dem man entweder etwas verbinden oder es lassen kann. 35. Letztens meinte ein Arbeitskollege, als ich ihm erzählte, dass ich dieses Jahr 35 werde: Halbzeit! Ok, er wusste nicht, dass es in meiner Sportart drei Drittel gibt. Dennoch: 35, das Schicksalsalter, in dem sich entscheidet, welche Richtung man in den kommenden Jahren einschlägt. Hin in die Normalität der erwachsenen Existenz, wo der stürmische, euphorische Antrieb der Jugendlichkeit endgültig zum Erliegen kommt. Oder doch in eine kreativere Richtung, wo einem daran gelegen ist, seine Ideen und Träume doch noch umzusetzen.

Wer glaubt, dass ich mit der 35 total übertreibe: der bedeutendste, hipste und zugleich Türen-in-die-Verlagswelt öffnende Literaturwettbewerb Deutschlands, der open mike, hat als Höchstalter 35. Da ist der Beweis! Nach 35 ist Schluss. Ab da baut die literarische Fähigkeit ab, falls sie bis dahin nicht zur Entfaltung gekommen ist. Es ist ein bisschen so wie auf dem Heiratsmarkt oder bei der Jobsuche.

Heißt die Lösung: mit dem Zählen aufhören und Geburtstag 34a feiern? Auch eine Möglichkeit, aber mit dem Alter an sich habe ich keine Probleme. Vielmehr geht es um das Ergreifen von Chancen. Das Wahrnehmen eines Impulses, das Erwachen aus der Lethargie, die Entfaltung eines Antriebs, was alles natürlich nicht über Nacht geht oder aufgrund eines auslösenden Moments. Es braucht schon mehrere Tritte in den A… bis es wirkt und vielleicht ist die 35 ja der, der noch fehlte. Bei Bukowski war er es.

In diesem Sinne: Hank, i’ll try!