Zum Glück gibt es Chinesen

Denn ohne die Chinesen gäbe es keine chinesischen Sprachen und somit auch keine chinesischen Schriftzeichen. Und ohne chinesische Schriftzeichen wäre das Titelblatt der aktuellen Ausgabe der ADAC Motorwelt, die ich und 18 Millionen andere – oder vielleicht auch nur 17 Millionen oder 15 Millionen, wer weiß das schon so genau – in diesen Tagen im Briefkasten gefunden haben, leer wie eine kahle Wand.

Aber zum Glück gibt es ja Chinesen, die chinesische Sprachen sprechen und dafür chinesische Schriftzeichen verwenden. Und letztere haben ihre Besonderheiten, die man als gebildeter, weitgereister und kulturell offener Mensch, für den man sich hält, zum Besten gibt. Besonders dann, wenn man gerne Politikgrößen zitiert und sich gemerkt hat, dass Richard von Weizsäcker einmal gesagt hat, dass wir von den Chinesen lernen sollten, weil diese für Chance und Krise das gleiche Schriftzeichen haben. Das hat Richard von Weizsäcker vor mehr als zwanzig Jahren gesagt, also zu einer Zeit, zu der man das sowieso nicht überprüfen konnte und es sich irgendwie fernöstlich-exotisch-weise anhörte.

Inzwischen weiß aber jedes fünfjährige Kind, das von seinen überambitionierten Eltern zum  frühkindlichen Chinesisch angemeldet wurde, dass das völliger Quatsch ist, da Krise und Chance im Chinesischen aus jeweils zwei Zeichen bestehen. Diese teilen sich zwar ein gemeinsames Zeichen, welches jedoch sehr viele Bedeutungen hat und in erster Linie als Maschine, Apparat oder Gerät übersetzt wird. Wörtlich übersetzt bedeutet Krise soviel wie gefahrvolle Gelegenheit, rechtfertigt trotzdem nicht die inhaltliche Verkürzung im von Weizsäckerschen Stil.

Das alles ist bestimmt auch den Verantwortlichen der ADAC Motorwelt bekannt, aber im Moment ziemlich egal. Denn schließlich müssen sie in turbulenten Zeiten ein Titelblatt gestalten und gleichzeitig dafür sorgen, dass der ADAC schnell wieder ein positives Image bekommt. Deshalb haben sie einfach reflexartig in die Sprücheschublade gegriffen und etwas heraus gekramt, das gleichsam ein wenig Selbstkritik andeutet, im selben Atemzug jedoch auf die Zukunft lenkt, in der alles besser wird. Versprochen. Das Ganze noch garniert als fernöstliche Weisheitsrethorik. Das kommt immer gut an. Deshalb ist auf den Titelblatt der aktuellen Ausgabe der ADAC Motorwelt zu lesen: die Krise als Chance.

Und genau hier ist das Problem: das erste, was den lieben Leuten von der ADAC Motorwelt einfällt, ist der Rückzug auf einen altbekannten Spruch, von dem inzwischen jeder weiß, dass er nicht so ganz ernst gemeint sein kann. Inhaltsleere Floskeln, die erst einmal Luft zum Durchatmen geben, bevor man sich dem eigentlichen Problem widmet. Vielleicht. Standardgefasel für Leser, die Antworten und Konsequenzen erwarten. Da sei dem ADAC Motorwelt Leuten deutlich gesagt: so einfach kriegt ihr das Vertrauen nicht zurück!

Wobei, das Vertrauen vielleicht nicht, aber zumindest meine Aufmerksamkeit für die ADAC Motorwelt. Ich erinnere mich nämlich nicht, mich in den 18 Jahren, in denen ich nun Mitglied bin, jemals so lange mit der ADAC Motorwelt befasst zu haben.