Wozu verpflichtet die Zugehörigkeit zu einer exklusiven Gruppe der Edelsten eigentlich genau? Vielleicht zu einem über-den-profanen-Dingen-des-Alltags-Stehen? Oder eventuell zu einer gewissen Belustigung über die kleinlichen Probleme des Pöbels? Vermutlich beides.
Schon kommen einem einige Vertreter dieser höheren Gesellschaft in den Sinn, die sich genau so verhalten und denen man es im Grunde gar nicht übel nehmen kann, da sie ja in dieser Geisteshaltung erzogen wurden. Blöd wird es erst, wenn sich jemand wie ein Adeliger verhält, ohne einer zu sein. Doch irgendwie kann ich auch Franz Beckenbauer verstehen.
Immerhin redet ihn seit gefühlt 50 Jahren jeder mit “Kaiser” an. Da liegt es nahe, dass er inzwischen überzeugt ist, der legitime Nachfolger Wilhelms II. zu sein. Dieser hatte ja einst verbissen und mit katastrophalen Folgen für sein Volk einen Platz an der Sonne gesucht. Den hat Franz Beckenbauer jetzt gefunden. In Katar, wo 2022 die über-übernächste Fußball-WM stattfinden wird, scheint die Sonne nämlich immer. Egal, ob im Winter oder im Sommer. Daher ist es vollkommen schnurz, wann die WM ausgetragen wird. Deshalb soll auch bitte dieser nervtötende Gian-Franco Kaspers vom internationalen Weltskiverband (FiS) aufhören zu maulen, wenn’s der Winter wird. Dann soll er seine Schneeballschlachten eben verschieben. Und auch die weichgespülten Fußballprofis sollen sich nicht gleich ins Hemd machen, wenn’s der Sommer wird. So heiß wird es schon nicht werden. Mit ein bisschen Willensstärke und ‘nem gutgekühlten Isodrink kriegt man die 90 Minuten auf dem Platz schon rum.
Und das ganze Gerede von den unsicheren Baustellen und schlechtbezahlten Arbeitern. Mein Gott, man kann es nicht mehr hören! Was soll diese Schlechtrederei eigentlich? Schämen sich die Leute nicht? Wenn sie keine Lust darauf haben, dann sollen sie halt zu Hause bleiben. Und wenn doch, dann sollen sie gefälligst still sein und anpacken. Außerdem hat es bei Bauprojekten dieser Größe stets Verluste gegeben. Das war bei den Pyramiden nicht anderes und die haben es sogar bis zum Weltwunder gebracht.
In einem Kommentar zu diesen Äußerungen von Franz Beckenbauer schreibt der Journalist Hendrik Buchheister, dass man dem “Kaiser” lange Zeit dessen Ignoranz gegenüber den gesellschaftlichen und politischen Problemen, die die Fußball-WM in Katar mit sich bringt, aufgrund seiner Verdienste für den Fußball verziehen hätte.
Ach so! Und ich dachte, das “Verzeihen” würde sich bei Sportlern stets nur auf mangelnde sportliche Leistungen beziehen, nicht auf blödes Geschwätz. So wie man es Miro Klose gerade nachsieht, dass er in den letzten Monaten wenig gerissen hat, weil er in den Jahren davor ein Garant für guten und erfolgreichen Fußball war.
Durch solche Äußerungen, so Buchheister weiter, beschädige der “Kaiser” sein Ansehen und würde seine über die Fußballwelt hinausgehende Bedeutung schmälern. Er, die Lichtgestalt, die er einst war, die nun zu verglimmen droht.
Ja, auch ich erinnere mich noch an eine Lichtgestalt des deutschen Fußballs. Zwar nicht mehr als Spieler, aber als Trainer. 1990, in Rom, Stadio Olimpico, als er nach dem Gewinn der WM, ganz alleine im Mittelkreis stand, da war er diese Lichtgestalt.
Inzwischen ist er nicht viel mehr als ein Teil einer hermetisch abgeschlossenen Kaste von Fantasiefürsten, die jenseits der Realität leben und den Freunden des Sports nur noch gehörig auf die Nerven gehen. Aber Adel verpflichtet. Und da der “Kaiser” ja irgendwie der Nachfolger von Wilhelm II. ist, sollte er auch jene Konsequenzen ziehen, die man von Adeligen erwartet, wenn dem Pöbel der Geduldsfaden gerissen ist; hat Wilhelm II. übrigens vorgemacht: abdanken!