Digitale Demokratie

Was haben Markus Lanz und Husni Mubarak, der 2011 abgesetzte, bis dahin autoritär regierende Staatspräsident Ägyptens, gemeinsam? Keine Ahnung, aber irgendeine Verbindung wird es geben müssen. Immerhin wurden bzw. werden gegen beide moderne Kommunikationsmedien und soziale Netzwerke eingesetzt, um Protest zu organisieren.

Zugegeben, diese Verbindung ist weit hergeholt und merkwürdig. Anscheinend genau so merkwürdig wie eine andere: die Ausübung demokratischer Grundrechte unterstützt von neuen Kommunikationsmedien. Oder um es anders auszudrücken: Meinungsäußerung via Onlinepetition, das ist doch irgendwie suspekt.

Haben wir vielleicht ein Demokratieproblem? Ganz so bedeutungsschwer würde ich es nicht gleich ausdrücken. Das hört sich immer gleich so an, als ob die Grundfesten unseres Gemeinwesens zusammenbrechen, obwohl man einfach nur nachdenken wollte. Es ist nämlich keinesfalls so leicht einzuschätzen, ob die Losung des ägyptischen Internet-Aktivisten (und Google Managers) Wael Ghonim (“If you want to liberate a society, just give them the Internet”) wirklich ein mehr an Demokratie bringt bzw. ob das Netz an sich schon demokratisch ist. Politikwissenschaftlich lassen sich hier durchaus Zweifel finden.

Vielleicht haben wir auch nur ein Generationenproblem? Immerhin wird unsere Demokratie dieses Jahr 65. Da ist die Sturm-und-Drang Zeit junger Demokratien, die sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen brutale Staatslenker zur Wehr setzen, vorbei. Da hat man sich daran gewöhnt, dass Demokratie alle paar Jahre durch ein Kreuz ausgeübt wird, das auch noch mit einem echten Stift gekritzelt wird. Aber Meinungsäußerung digital? Von der Couch aus? So ganz ohne Transparente? Mit ein paar Klicks erledigt?

Da muss etwas anderes dahinterstecken. So wird dann auch ganz schnell das altbekannte sozial-psychologische Erklärungsmodell der bösen, anonymen Masse aus der Mottenkiste geholt, die in “freudiger Erregung [...], sich im Schutz der Anonymität endlich mal ganz direktdemokratisch und persönlich an einer Treibjagd beteiligen zu können“, den Klick setzt oder den Gefällt-mir Button drückt. Obwohl von “erwachsenen” Demokraten doch eigentlich die altbewehrte Peter-Lustig-Lösung erwartet wurde: “Abschalten!”

Nur damit muss man sich – Dank der Möglichkeiten, die die neuen Kommunikationsmedien und sozialen Netzwerke bieten – nicht mehr zufrieden geben. Umschalten, wegschauen, abwinken – das ist nicht länger das einzige, was einem übrigbleibt. Und das ist auch gut so, denn umschalten, wegschauen, abwinken bedeutet immer schweigen, stumm bleiben, den anderen gewähren lassen und ihn im selbstherrlichen Irrglauben zu belassen, die Welt sei einverstanden, mit dem, was er von sich gibt.

Das ist die Chance, die uns geboten wird, die unsere Beteiligungsmöglichkeiten vergrößert. Fast so, als habe etwas einer langjährigen Beziehung wieder neuen Kick gegeben. Und dabei muss man nicht gleich gegen Diktatoren vorgehen, mögen sie in Staatspalästen sitzen oder in Studios rumstehen. Das Engagement kann direkt vor der Haustür beginnen, so wie zum Beispiel die Rettungsaktion für den Stephansplatz in Karlsruhe des Schriftstellers Matthias Kehle. Es geht eben darum seine Stimme zu erheben und einzubringen. Nie war es leichter als heute. Schweigen sollte man lieber im Theater oder im Kino, denn da stört das Gelabber während der Vorführung tatsächlich.