Letztens auf einen Artikel bei spiegel-online gestoßen, einer dieser Berichte, die mit dem Begriff des “jungen Star-Autors” in der Überschrift locken, bebildert mit einer Fotostrecke, in der ein nachdenkliches Gesicht mit freundlich-frischem Blick ins Objektiv schaut, Zufriedenheit ausdrückend, schon in jungen Jahren Tiefsinniges in Buchform gepresst zu haben, das sich zudem im Programm eines renommierten Verlags wiederfindet. So was kommt an.
In diesem Artikel geht es um Benedict Wells und seinen Weg vom erfolglosen Bohémien hin zu eben jenem Star-Autor. Anlass für mich, mir Gedanken zu diesem Archetyp des Schriftsteller-Werdens – dem Bohémien – zu machen, der heute so vernünftig erscheint wie eine Veröffentlichung bei einem Druckkostenzuschussverlag.
Denn heute dominiert ein anderer Typus des Schriftsteller-Werdens: der “Fin-du-travail-auteur”, wie man ihn nennen könnte, also der Schriftsteller, der sich nach Feierabend hinsetzt, um an seinem Roman zu schreiben, weil er tagsüber einem Brotberuf nachgeht, der ihm ein regelmäßiges Einkommen sichert, damit er sich in finanzieller Absicherung nach Feierabend überhaupt hinsetzen kann, weil er ja sonst abends kellnern, bei McDonald’s arbeiten oder irgendeiner unregelmäßigen, schlecht bezahlten Arbeit nachgehen müsste. Soweit die tendenziöse Theorie.
Ist der Bohémien also nur eine Wunschvorstellung aus einer vergangenen Zeit, in der man sich ein unkonventionelles Leben für die Kunst und gegen die Gesellschaft leisten konnte, weil überall Gönner, Mäzene und Förderer warteten, die einen schon irgendwann auffingen, und wird dieser Lebens,- Denk- und Arbeitsstil in regelmäßigen Abständen aus der Mottenkiste geholt, einzelnen Personen übergestülpt, nur um damit sonstige Verquickungen (nach dem Motto: Der Steuerberater der Verlegerin war in derselben Burschenschaft wie der Bruder des besten Freundes des Vaters), die etwas mit dem überwältigenden und unerwarteten Bucherfolg zu tun haben könnten zu kaschieren? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Gehen wir mal von letzterem aus. Und gehen wir auch davon aus, dass es ihn - den Bohémien – weiterhin noch geben kann.
Der Bohémien als Gegenentwurf zum Fin-du-travail-auteur setzt alles auf eine Karte. Ohne Auffangnetz balanciert er auf dem schmalen Grat des Vertrauens zum eigenen Talent vom Nirgendwo zum Erfolg, begleitet von der Gefahr ins Nichts abzustürzen. Dies vermeidet der Fin-du-travail-auteur. Er muss nicht von der Kunst leben, sondern kann – wie ich es mal gehört habe – für sie leben. Ganz ohne Erfolgsdruck. Und wenn es nicht klappt? Macht nix. Dann hat es nicht sein sollen. Dafür hat der Fin-du-travail-auteur wenigstens ein gesichertes Leben geführt und konnte einem intellektuelleren Hobby nachgehen als manch anderer.
Sagt das jetzt irgendetwas darüber aus, was besser funktioniert? Natürlich nicht. Wie meistens in der Kunst gibt es verschiedene Wege und jeder nimmt den, den er verdient – könnte man meinen. Was ich aus eigener Erfahrung sagen kann ist, dass der Weg des Fin-du-travail-auteur, so überlegt und durchdacht er auch erscheinen mag, doch der beschwerlichere ist, eben weil der Fin-du-travail-auteur nicht außerhalb eines normalen bürgerlichen Lebens steht, sondern dem gesellschaftlichen Druck, jenes normale bürgerliche Leben – zumindest nach außen – zu führen, erlegen ist. Innerlich denkt er anders, macht nebenher etwas, von dem er sich eigentlich wünscht, es hauptsächlich tun zu können, wenn nur, ja wenn da nur nicht die Realität wäre. Der Fin-du-travail-auteur bleibt gespalten, in die Person, die er vorgibt zu sein, und die Person, die er gern wäre. Und er bleibt allein. Denn seinem direkten Umfeld kann er sich nicht mitteilen, offenbaren was ihn wirklich antreibt. Wieso auch?! Er führt doch das Leben, das er wollte.
Der Bohémien dagegen bleibt authentisch. Er ist so wie er sein will, räumt der Kunst den größten Raum im Leben ein, drückt alles andere an den Rand. Das macht ihn natürlich zu einem schwierigen Zeitgenossen für andere. Ok, aber genau so will er es.
Und nun? Gibt’s noch eine Empfehlung, einen Rat? Irgendetwas, an das man sich halten, stoßen oder es einfach ignorieren kann? Klar, bitte: versucht es erst wie der Bohémien! Denn ihn treibt die frische Kraft der Unbeschwertheit, die Dynamik der Emotionen und die Unverfrorenheit der Jugend. Vielleicht genau die richtige Mischung, zum richtigen Zeitpunkt, um den eigenen Weg zu erkunden. Und wenn es dann nicht klappt? Kann man immer noch Fin-du-travail-auteur werden.