Thilo Sarrazin hat Recht

Auf diesen bescheuerten Gedanken könnte jetzt Sibylle Lewitscharoff kommen. Denn – so die wirre These im neusten Gedankenschmöcker von Sozialbulldozer T.S. – der Meinungsfreiheit werden in Deutschland durch einen Gleichheitswahn enge Grenzen gesetzt. An diese ist vor einigen Tagen Sibylle Lewitscharoff gestoßen, als sie sich in der Kunst des gesprochenen Wortes versuchte und im Staatsschauspiel Dresden eine Rede hielt. Ergebnis ist der erste Literaturskandal 2014. Skandalös sind dabei nicht nur der Inhalt, den Sibylle Lewitscharoff verbreitete, sondern auch die Verteidigungsbollwerke im sarrazinären Duktus, die von Meinungsfreiheitspuristen errichtet wurden.

Natürlich gab es eine Menge Gegenrede zu Sibylle Lewitscharoffs’ Äußerungen. Neben der offiziellen Gegendarstellung der einladenden Institution, zwei herrliche Kommentare von Georg Diez und Sybille Berg. Aber es gab eben auch diejenigen, die sich über die Empörung empörten. Diese fanden sich in mehreren Diskussionen auf einem bekannten sozialen Netzwerk und erweckten den Eindruck, eine ebenso sprachlich deutliche wie vehemente Kritik an der Rede von Sibylle Lewitscharoff sei nicht mehr als die unkontrollierte, vorurteilsbehaftete Aggression des Mobs.

Daher, um es direkt zu Anfang klar zu stellen: ja, ich habe die Rede gelesen. Es war zwar nicht schön, sich durch die gezwirbelten Schachtelsätze zu kämpfen, aber ich nehme es sportlich. Bei einem Marathon will man ja auch nur durchkommen. Diese Feststellung muss ich machen, um mich vor dem ersten Gegenargument der Kritikzurückweiser zu schützen: “Haben Sie die Rede überhaupt gelesen oder gehört?” Mal ehrlich, was soll so eine blöde Frage? Erweckt eine kritische Äußerung gegen die unsäglichen Äußerungen einer Sibylle Lewitscharoff etwa den Eindruck, man wissen nicht was man kritisiere?

Das zweite Argument der Empörungseindämmer ist mein Lieblingsargument. Es richtet sich gegen die bösen Medien, die natürlich an allem Schuld sind, weil sie in ihrer Berichterstattung die Rede nur bruchstückhaft wiedergeben und entscheidende Sätze im falschen Zusammenhang gesetzt haben. Liebe Kritikaufweicher, das kann doch wohl nicht euer ernst sein! Erstens, in einem Zeitungsartikel ist leider kein Platz eine elfseitige Rede komplett abzudrucken, um auch ja nichts bruchstückhaft darzustellen. Zweitens, ihr glaubt doch nicht wirklich, dass Zitate mehrerer Sätze, die alle in eine gewisse Richtung gehen, die eigentliche Aussage derart verunstalten, dass ihr gegenteiliger Sinn herauskommt. Welche intellektuelle Abgehobenheit steckt eigentlich dahinter zu behaupten, Zeitungen wie die taz oder der Tagesspiegel würden nicht das wiedergeben, was Sibylle Lewitscharoff gemeint hat? Was hat sie denn angeblich gemeint? Und wenn es etwas anderes war, warum hat sie es nicht gesagt? Gelegenheit hatte sie ja.

Und dann wäre da noch das dritte Argument der plumpe-Widerrede-Bekämpfer: das Gesagte sei nur Kalkül und Taktik, ein bewusster Krawall-Effekt, um “im gossip” zu bleiben. Sicher! Hat ihr bestimmt ihr PR-Berater eingeflüstert und ihr dann auf bunten Charts gezeigt, wie sich das auf den Absatz ihrer Bücher auswirkt. Ne, ne, hier hat jemand etwas von sich gegeben, der genau wusste was er sagte und der damit eine bestimmte Botschaft übermitteln wollte.

Deshalb, verehrte sarrazinäre Meinungseinschränkungsthesenvertreter, ist es verdammt richtig, dass sich ein Sturm der Empörung über Sibylle Lewitscharoffs’ Äußerungen ergossen hat, anders als das laue Lüftchen des deutschen Literaturbetriebs. Denn ansonsten hätte Sibylle Lewitscharoff wohl noch geglaubt, dass viele mit ihrer Meinung einverstanden seien. Welch fataler Irrtum. Aber sie kann ja noch dazu lernen und hat inzwischen – nach dem zweiten Nachfragen – zurückgerudert. Bestimmt auch nur aus PR-Taktik. Oder hat hier eine Zeitung mal wieder etwas falsch dargestellt. Wollte sie vielleicht gar nicht. Egal was. Damit dürfte es jetzt gut sein.